Eine göttliche Komödie
Zeus schob sich eine Zigarette in den Mund. «Schenkt mir eure ganze Aufmerksamkeit! Euren vollen Einsatz! Das soll ein wahres Ereignis werden. Fehler können wir uns nicht leisten.»
Die übrigen Mitglieder der Bande standen im Halbkreis vor Zeus. Wie ihr Anführer waren auch sie nach griechischen Gottheiten benannt, niemand kannte den tatsächlichen Namen der anderen. Janus, der Gott der Türen, war der Aufbruchsspezialist. Ares, der Gott des Krieges und der Kampfkunst, war bekannt für seine Brutalität und Entschlossenheit. Hermes, der Beschützer der Diebe, war die gute Seele der Gruppe und immer darauf bedacht, ihre Interessen zu wahren. Hephaistos, der Gott des Feuers und der Schmiedekunst, war ein Meister des Handwerks, insbesondere wenn es um das Brennschneiden von Tresoren ging. Zelos, der Gott des Eifers, war geduldig und gab niemals auf, selbst wenn die Dinge schwierig wurden.
«Also», fuhr Zeus mit seiner donnergrollenden Stimme fort. «Weiss jeder, was er zu tun hat? In fünf Minuten setzen wir uns in Bewegung.»
«Moment!», entfuhr es Hermes, der von der Lautstärke seiner Stimme selbst überrascht schien. «Ich habe euch noch Brote geschmiert. Es hat welche mit Schinken und Käse, welche mit Tomaten und Mozzarella und dann noch eines mit Mortadella.»
«Mortadella gehört mir!», rief Ares mit Bestimmtheit und reckte seinen Zeigefinger nach oben.
«Aber ich wollte doch das mit Mortadella», warf Janus enttäuscht ein. «Ich mag Mortadella.»
«Genug mit euren Broten!», herrschte Zeus die anderen an. «Konzentriert euch auf eure Aufgaben!»
«Mortadella gehört aber trotzdem mir», wisperte Ares und kassierte einen bitterbösen Blick von Zeus.
«Ich muss euch die Wichtigkeit dieses Moments wohl nicht nochmals erklären», knurrte der Chef der Bande und liess seine Finger durch seinen dichten Bart gleiten. «Das Gold im Tresorraum der Privatbank Wilhelm wartet auf uns. Was wir vorhaben, ist nicht weniger als die Krönung der Einbruchskunst. Wir steigen heute Nacht in den Olymp unserer Zunft auf. Also handelt auch danach! Habt Respekt vor unserer Aufgabe, aber bewahrt euch den Mut und die Kraft. Denn wir werden sie brauchen.»
Janus, Ares, Zelos, Hermes und Hephaistos nickten. Die Vorfreude stand ihnen ins Gesicht geschrieben.
«Also, wir gehen über die Kellertür rein. Janus, walte deines Amtes und verschaffe uns Zutritt.»
«Ach, ich mag es, wenn du so dich so eloquent ausdrückst», gab Janus grinsend zurück und schulterte die schwere Tasche mit seinen Utensilien. Der erfahrene Aufbruchsspezialist ging voran, und die restliche Bande folgte, eine schweigsame Prozession von schwarz gekleideten Gestalten auf dem Weg zur Privatbank Wilhelm.
***
Janus hatte mit der schweren Eingangstür zum Keller nur wenig Problemen. Die Alarmanlage sowie die im Raum verteilten Bewegungsmelder und Kameras hatte er ebenfalls rasch ausser Betrieb gesetzt. In wenigen Minuten gelang es ihm, alles zu entschärfen und die Kellertüre zu entriegeln. Auch von den weiteren Sicherheitstüren und Sicherheitsvorkehrungen liess er sich nicht aufhalten. Die Einbrecher schlichen durch die Räumlichkeiten der Privatbank Wilhelm, ohne ein Wort zu sagen. Hinter einer weiteren Tür waren sie endlich im Vorraum zum Ziel ihrer Träume angelangt. Ares schaltete das Deckenlicht ein. Als sie die mächtige Panzertür vor ihnen erblickten, hielten die Mitglieder der Bande in seltener Eintracht kollektiv den Atem an.
«Wow!», entwich es Hephaistos nach einigen Sekunden.
«Das ist es also», sagte Ares ehrfürchtig und stellte seine Tasche auf den Boden.
«Ich glaube, ich hätte jetzt doch Lust auf dieses Mortadella-Brot», flüsterte Janus und kicherte.
Zeus warf ihm einen vernichtenden Blick zu und näherte sich der Panzertüre. Er wirkte ein wenig irritiert, beinahe verunsichert, und als er den kleinen Schriftzug an der Panzertüre entdecke, zuckte er zusammen.
«Beim Teutates! Eine WALDIS Panzertüre!»
«Aber Teutates ist ein Gott der keltischen Mythologie», gab Zelos zu bedenken «Wir sind doch Griechen.»
«Kelten, Griechen, mir doch egal», schnaubte Zeus. «Es stammt aus dem Hause WALDIS. Wisst ihr, was das bedeutet?»
Ares und Zelos zuckten in erstaunlichem Synchronismus mit ihren Schultern, Hermes und Hephaistos schüttelten ihre Köpfe. Nur Janus nickte langsam. «WALDIS. Verdammt! In den Plänen steht nichts davon, dass es von WALDIS ist. Der Tresorraum muss neu sein. Er wurde wohl erst vor kurzer Zeit ersetzt. Verdammt!»
«Was ist denn so schlimm?», wollte Zelos wissen.
«WALDIS ist eine Schweizer Firma», erklärte Zeus und hob seinen Zeigefinger. «Ein traditionsreicher Familienbetrieb. Die Tresore und Wertschutzräume, die WALDIS herstellt, sind kaum zu knacken. Oder hast du schon mal einen aufbrechen können, Janus?»
Janus schüttelte den Kopf und liess ihn dann hängen. «Nein, keine Chance. Ich hab’s einige Male versucht. Mehr als ein verstauchter Finger hat nicht herausgeschaut.»
«Ich sage euch, das Unterfangen ist aussichtlos», sagte Zeus mit dem matten Klang der Resignation in der Stimme.
«Aussichtslos? Dieses Wort kenne ich gar nicht», rief Ares und schob seinen Brustkorb demonstrativ nach vorne.
«Aussichtlos bedeutet, dass es keine Aussicht auf Erfolg gibt», begann Hermes zu erklären.
«Ich weiss, was das Wort bedeutet», unterbrach ihn Ares energisch. «Aber ich führe diesen Begriff nicht in meinem Wortschatz. Aussichtlosigkeit ist ein vorweggenommenes Eingeständnis des Scheiterns. Eine faule Ausrede. Ob etwas funktionieren kann, weiss man erst, wenn man es versucht hat. Und ich will es versuchen.»
«Dann versucht es doch», erwiderte Zeus. «Aber wie gesagt, das Unterfangen ist aussichtslos.»
Zuerst machte sich Aufbruchsspezialist Janus ans Werk. Er nahm zahlreiche Werkzeuge und Utensilien aus seiner Tasche und bemühte sich, das Schloss zu manipulieren. Doch trotz seiner Erfahrung und seines Geschicks gelang es ihm nicht, die massive Panzertüre zu öffnen. Enttäuscht stöhnte Janus auf und schleuderte seine Instrumente zur Seite. «Zwecklos! Absolut zwecklos!», rief er und liess sich erschöpft auf einem Drehstuhl nieder.
«Ich sagte doch, das Unterfangen ist aussichtslos», wiederholte Zeus.
«Mit Verlaub, lieber Zeus, aber bitte erspar uns deinen Pessimismus», entgegnete Ares ungeduldig. «Wenn Janus es mit Köpfchen nicht schafft, dann gebrauche ich eben Gewalt.»
Er griff nach seinem schweren Vorschlaghammer und begann, auf die Tresortüre einzuschlagen, als könnte er ihn einfach zerschmettern. Doch die Konstruktion des Tresorraums erwies sich als unverwundbar. Ares schlug immer verzweifelter auf die massive Türe ein, aber sie blieb unversehrt. Wütend warf er seinen Vorschlaghammer in die Ecke und schickte ihm ein paar saftige Flüche hinterher.
Hermes mahnte zu Besonnenheit. «Jetzt nicht die Nerven verlieren. Bewahrt Ruhe. Lasst mich es versuchen.» Hermes arbeitete sorgsam und methodisch an der Tresortüre, indem er verschiedene Sperren und Codes ausprobierte. Doch auch er fand keinen Weg, die Sicherheitsmassnahmen zu überwinden. Sein besorgter Blick wanderte zu den anderen Bandenmitgliedern, denen die Verzweiflung immer deutlicher in die Gesichter geschrieben stand.
«Wenn Gewalt und Intelligenz nicht zum Ziel führen, bleiben wohl nur noch die Kräfte der Elemente übrig», sagte Hephaistos und öffnete seinen grossen Werkzeugkoffer. Mit geübten Bewegungen breitete er zahlreiche Schneidewerkzeuge und Gasbrenner vor sich auf den Boden aus und begann, die Tresortüre zu bearbeiten. Doch die Hülle der Panzertür war resistent gegen die grösste Hitze, seine gesammelten Gerätschaften verfehlten jegliche Wirkung. «Unglaublich! Einfach unglaublich! So eine störrische Tresortüre habe ich noch nie erlebt!»
Zelos, das geduldigste Mitglied der Bande, versuchte es als Letzter. Er arbeitete stundenlang an einem einzigen Teil des Tresors, als ob er durch reine Ausdauer Erfolg erzielen könnte. Während Zelos sich abmühte, schauten die übrigen Bandenmitglieder gebannt zu. Schliesslich füllte ein tiefes Seufzen von Zelos den Raum. «Ich gebe auf. Es bringt nichts. WALDIS hat gewonnen.»
«Ich habe es euch ja gesagt, das Unterfangen ist aussichtlos», sagte Zeus mit einem leicht triumphierenden Unterton. «Ich habe es euch mehrfach gesagt. Aber ihr wolltet ja nicht hören. Und nun, meine Herren, verlassen wir dieses Haus. Die Nacht ist fast vorbei. Wir waren schon viel zu lange hier drin.»
***
Über den Dächern der Stadt wurde der Himmel allmählich heller, als die griechischen Gottheiten mit hängenden Köpfen durch die Gassen schlichen. Im Minutentakt murmelte Hermes «Ist ja nicht so schlimm», doch die übrigen Bandenmitglieder liessen sich davon kaum aufmuntern.
«Hermes, wie sieht es eigentlich mit deinen Broten aus, die du für uns geschmiert hast?» wollte Hephaistos wissen.
«Die Brote? Die sind noch da.»
«Mortadella gehört mir!», rief Ares so laut aus, dass sich seine Stimme überschlug.
«Aber ich wollte doch das mit Mortadella», sagte Janus enttäuscht und begann, auf Ares einzureden.
Plötzlich baute sich Zeus ruckartig vor ihnen auf und streckte ihnen ein langes Messer entgegen. Janus verbarg sein Gesicht verängstigt in seinen Händen, Ares ballte seine Fäuste und liess die Eckzähne aufblitzen. Doch ihr Anführer hatte keine Gewalt im Sinn.
«Teilen!»
«Bitte was?» fragte Ares irritiert, die Fäuste noch immer erhoben.
«Ihr sollt es teilen. Das Mortadella-Sandwich.»
Während Ares das Brot in zwei Hälften schnitt und eine davon Janus in die Hände drückte, betrachtete Zeus seine göttergleiche Bande und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Zwar war der Einbruch in die Privatbank Wilhelm ein absoluter Reinfall gewesen. Auch gerieten sie immer wieder aneinander und lieferten sich sinnlose Diskussionen. Dennoch war er froh und dankbar für seine talentierten Mitstreiter. Im Leben war nur auf wenige Dinge Verlass, dachte Zeus. Diese Truppe gehörte auf jeden Fall dazu. Und ebenso die Tatsache, dass es ein aussichtloses Unterfangen ist, einen WALDIS Tresor oder Wertschutzraum zu knacken.
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